Viele leiden darunter, dass die Tage im Spätherbst und Frühwinter so kurz sind. Ihnen fehlt das Sonnenlicht, die Wärme. Doch auch die Dunkelheit und die Kälte haben ihren Sinn. Vielleicht ist das ja ein wenig Trost – oder der Weg zu einem gelasseneren Umgang mit Unproduktivität und Müdigkeit. Sie gehören einfach dazu im Winter, wenn auch in unserer Gesellschaft eher unerwünscht.
Dunkelheit. Kälte. Nahrungsknappheit. Die Natur verlangt uns und sich selbst einiges ab im Winter. Die Sonne lässt sich nur wenige Stunden pro Tag blicken. Nur ein paar Handbreit über den Horizont schafft sie es, selbst wenn sie mittags im Zenit steht. Ihre Strahlen wärmen und wecken uns kaum mehr, weil sie auf ihrem langen, schrägen Weg durch die Atmosphäre vielfach gebrochen werden und an Kraft verlieren.
Kraftlos, gebrochen sein. In unserer Welt ist das etwas nicht Erstrebenswertes. Genauso wie der Winter mit seiner Kälte und seiner Dunkelheit. Was tun wir Menschen nicht alles, um den Winter nicht spüren zu müssen: wir haben warme Klamotten und dicke Schuhe an, wir haben Heizungen und elektrisches Licht erfunden.
Wenn die Winter kürzer werden
Dieses Jahr hat der Winter lange auf sich warten lassen. Bis weit in den November hinein habe ich Brombeeren und Himbeeren geerntet und nur mit Th-Shirt und Jeans bekleidet im Garten gewerkelt. Klingt erstmal toll, aber der Natur geht es nicht gut damit. Rosmarin und Lavendel blühen verwirrt ein weiteres Mal, an manchen Bäumen springen die Knospen auf, die eigentlich fürs nächste Frühjahr bestimmt sind. Bienen summen auf der Suche nach Nahrung und sterben quasi im Flug, weil sie dann doch nicht mehr genug finden. Die Natur ist erschöpft vom langen, heißen und trockenen Sommer. Sie braucht die Dunkelheit und die Kälte, um endlich einschlafen, um sich regenerieren zu können. Es ist ja nicht so, dass, wer viel Energie produziert, diese Energie dann unerschöpflich zur Verfügung hat.
Powern bis zur Erschöpfung
Auch wir kommen nicht zu mehr Kraft, wenn wir ständig powern und produzieren und arbeiten und essen und wach bleiben und Wissen anhäufen undundund. Auch wir brauchen regelmäßig Ruhe und Schlaf; im Winter sehr viel mehr als im Sommer. Davon hält uns vor allem das elektrische Licht ab. Dass es rund um die Uhr verfügbar ist, ja dass wir uns vor allem in den Großstädten dem künstlichen Licht kaum mehr entziehen können, laugt uns aus.
Wie sehr, das ist mir vor Kurzem im Kuhstall bei einem unserer Nachbars-Bauern bewusst geworden. Er lässt nachts grundsätzlich das Licht im Stall brennen – wie übrigens viele Milchvieh-Betriebe –, weil das den Ertrag steigert. Der Körper produziert das Schlaf-Hormon Melatonin erst dann, wenn kein helles Licht mehr auf die Augen trifft. Je mehr Blau-Anteile im Licht, desto wacher hält es die Kühe. Sie schlafen weniger, fressen mehr und produzieren somit auch immer mehr Milch. Zumindest ein paar Jahre lang, dann sind sie ausgebrannt und taugen nichts mehr. Die Lebenserwartung von Kühen in der Milchindustrie liegt momentan bei nicht einmal mehr sechs Jahren, obwohl sie eigentlich 20 Jahre alt werden könnten.
Weniger Strom, mehr Energie
Ich setze jetzt mal zu einem gewagten Sprung an, der vom Kuhstall unseres Nachbarn direkt in die Millionenstadt München führt. Obwohl München gut 50 Kilometer weit weg ist, erhellt der Schein der Lichter den nächtlichen Horizont im Norden von uns so sehr, dass ich dort keinen einzigen Stern mehr sehen kann. Straßenlaternen, blinkende Leuchtreklame, helle Schaufenster, komplett illuminierte Büro-Hochhäuser: Wie muss es den Menschen gehen, die dort wohnen? Die dem Lichtersmog nicht entfliehen können wie ich, indem sie einfach das Licht ausknipsen. Wie es wohl wäre, wenn in München die offiziellen Lichter ausgingen? Wäre das Stromsparen wirklich so schlimm? Oder hätten wir dann im nächsten Frühling vielleicht sogar eine gesündere, ausgeschlafenere Stadtbevölkerung? Ich jedenfalls versuche ab jetzt, das Licht und vor allem den Computer schon um neun Uhr abends auszuschalten. Wenigstens in den Nächten um Neumond herum.
Dass wir nachts unbeschränkt Licht zur Verfügung haben, drinnen wie draußen, ist Fluch und Segen in einem. Dabei ist der segensreiche Teil m.E. geringer. Draußen ist es die Sicherheit, die uns Licht gibt. Wir stolpern über kein Hindernis und andere Gefahren sehen wir auch eher kommen mit der Option der Flucht.
Drinnen können wir Beschäftigungen nachgehen auch nachdem die Hühner ins Bett gegangen sind.
Der Fluch liegt auch innen und außen. Innen verleitet uns das Licht viel länger aktiv zu sein, als es uns körperlich und geistig gut tut. Und wie von Dagmar beschrieben wird der Segen des Lichts z.B. bei Kühen pervertiert. Draußen kämpfen Insekten mit unserem "Irrlicht" an Häusern und Autos. Wir berauben uns des Wunders einen sternenübersäten Himmel…